erstellt von Helmut Sommer, Pfarrchronist
Im Telgter Stadtteil Westbevern-Vadrup befindet sich mit Mittelpunkt des Ortes die St. Anna Kapelle. Diese hat eine über 650-jährige Geschichte. Zum ersten mal wird die Kapelle am
1. November 1374 urkundlich erwähnt. In dieser Urkunde ist vereinbart worden, dass der amtierende Pfarrer und seine Nachfolger in der zu „Ehren Unserer Lieben Frau“ und des heiligen Georg erbaute und geweihte Kapelle dort einmal im Monat lesen soll. Die erste Kapelle wurde aus Holz errichtet, so wie es bis ins 16. Jahrhundert bei Kirchen und Kapelle üblich war. Zu einem späteren nicht genannten Zeitpunkt wurde die Kapelle in „St. Anna-Kapelle“ umgenannt.
Alten Aufzeichnungen nach soll die erste Kapelle Beziehungen zum Freistuhl Vadrup gehabt haben.
Die Freistühle stellten als unterste Gerichtsorganisation die Bauerschaftsgerichte bis Anfang des 19. Jahrhunderts dar. In diesen wurden Feld- und Wegestreitigkeiten, also leichte Vergehen, und Verteilung öffentlicher und gemeindlicher Lasten, verhandelt.
Seit der Gründung der Vikarie in Westbevern im Jahre 1702 bis zum Weggang des letzten Vikars im Jahre 1954 las der Vikar zwei bis dreimal in der Kapelle die Messe. Danach gab es jeweils montags die Schulmesse und seit Januar 1977 findet die Messe an jedem Dienstag um 9 Uhr statt. Zu den Hochfesten Ostern, Pfingsten und Weihnachten ist die Festmesse jeweils am ersten Feiertag um 8 Uhr in der Kapelle.
Im Jahre 1753 goss der Glockengießer Friedericus Schweys aus Münster die Bronze-Glocke. Diese ist 43 kg schwer, die Höhe beträgt 36 cm und hat den Schlagton „c“. Auf der Glocke befindet sich ein Bildnis Anna Selbdritt, also Maria mit ihrem Sohn und ihrer Mutter Anna.
In den Jahren 1788/89 wurde die vermutlich früheste Kapelle abgebrochen und an ihrer Stelle eine neue in damals üblicher Fachwerkkonstruktion erbaut. 1919 wurde die inzwischen zu kleine Kapelle, dessen Eingang entgegen der heutigen Kapelle den Eingang hatte, um einen Meter nach Westen verlängert. Außerdem verband man die Außenwände mit quer durch den Raum verlaufenen Stangen, da diese den Druck der Sparren nachgaben.
Kapelle um 1950 Vorder-/Rückansicht Kapelle 1910/1920
Aufgrund der maroden Bausubstanz und der Vielzahl an Renovierungsmaßnahmen, beschloss der seinerzeitige Kirchenvorstand von Westbevern im Juli 1957 den Neubau der heutigen Kapelle. Am 11. August 1958 wurde die alte Kapelle abgebrochen. Bereits eine Woche später begann der Neubau und wegen der trocken Witterung waren Mitte Oktober die Maurerarbeiten meist vollendet. Das Richtfest war am 20. November 1958 und die Urkunde für den künftigen Altar, dessen Text überliefert ist, eingefügt. Die Arbeiten an der Kapelle schritten zügig voran. So konnten im Januar 1959 nach den Dacharbeiten 8.200 braune und tief gewölbte Hohlziegel aufgehangen und eingedockt werden.
1938 zimmerte der Möbelschreiner August Lienemann neue Bänke für die Kapelle. Drei der heute noch existierenden Bänke, dessen Namen im hinteren Bereich der Bänke eingeritzt sind, stifteten die Familien Fartmann (heute Nünning/Weiligmann), Böckmann und Schulze Nahrup aus dem Wiewelhook.
Am Freitag, 20. März 1959 wurde der Altar aus Anröchter Dolomit auf vier Säulen aufgebaut und die aus der gleichen Gesteinsart hergestellten Weihwasserbecken angebracht. Nach den elektrischen Arbeit und Einbau der Rundbogen-Fenster mit Bleiverglasung kam der große Tag.
Unter großer Beteiligung der Bevölkerung weihte nach neunmonatiger Bauzeit am Freitag, 1. Mai 1959, der damalige Generalvikar und späterer Weihbischof Laurenz Böggering feierlich ein. Der Generalvikar lobte und bedankte sich für den großen Opfersinn der Gemeinde und betonte zudem, dass dieses Gotteshaus ein Schmuckstück für Westbevern und über den Landkreis Münster hinaus sei. Gesanglich wurde die Feierstunde vom MGV „Eintracht“ Westbevern-Vadrup.
Die Kapelle mit rotem Mauerwerk hat eine Länge von 18,60 m, eine Breite von 14,55 m und das mit Kupfer gedeckte sehr schmale Türmchen ist 11,50 m hoch. Die Kapelle verfügt über 109 Sitzplätze und hat eine sehr gute Akustik.
Zum Fest Maria Geburt, am 8. September 1959, wurde auf die linken Seite am Altar die 95 cm große Madonnenfigur aus alter Eiche aufgestellt. Bildhauer Hubert Janning aus Münster hatte diese Figur angefertigt.
Im Verlauf der Jahre wurde die Kapelle im Innern mehr und mehr ausgestattet. Nach dem Einbau der Rohre für die später installierte Heizung im November 1959 konnte der Bodenbelag der Marmorplatten gelegt werden.
Zum Weihnachtsfest 1959 konnte die Oberammergauer Krippe, bestehend aus der Heiligen Familie und den Heiligen Drei Königen, erstmals aufgestellt werden. Weitere Figuren kamen durch Spenden im Laufe der Jahre dazu: 1991 zwei Hirten und fünf Schafen, 2000 einen Ochsen und Esel, 2001 einen weiteren Hirten und 2009 ein neuer Krippenstall.
Am Palmsonntag,10. April 1960 weihte der Franziskanerpater Reinhold den Kreuzweg, die 14 Vadruper Familien stifteten, aus auf Holzplatten aufgezogenen Drucken ein. Je sieben Platten hängen rechts und links im hinteren Bereich der Kapelle.
Bisher hatte der Schützenverein Westbevern-Vadrup keinen geeigneten Platz für die Totenehrung. So beschloss dessen Vorstand, einen Gedenkstein vor der St. Anna-Kapelle aufzustellen. Am Freitag, 27. November 1981 fand eine Messe unter Mitgestaltung des MGV „Eintracht“ Westbevern-Vadrup statt. Anschließend segnete Pfarrer Wilhelm Elskamp bei Fackellicht den neuen Gedenkstein ein. Diese Feierstunde begleitete der Vadruper Fanfarenzug mit der entsprechenden Musik. Jedes Jahr im Rahmen des Schützenfestes begann der Vadruper Schützenverein mit einer Messe in der St. Anna-Kapelle. Aufgrund des immer höher werdenden Besuches ist seit 1996 die Messe im Festzelt am Schützenplatz im Sickerhook.
Unsere Vorfahren haben die Kapelle unter dem Schutz der heiligen Anna gestellt. Da aber eine Darstellung der heiligen Anna fehlte, stiftete aus Dankbarkeit das Ehepaar Alois und Paula Riemann eine Anna-Statue. Diese 92 cm hohe Figur, dargestellt mit einem Buch, hatte Heinrich Braker aus Warstein geschnitzt und wurde während der wöchentlichen Messe am Dienstag, 28. Juli 1987, durch Pfarrer Wilhelm Elskamp eingeweiht.
Im März 1997 schuf die Kirchengemeinde einen neuen Tabernakel an, dessen Tür reliefartig mit Weizenähren verziert ist. Dieser befindet sich auf einen von Steinmetz Dieter Lüttmann (Westbevern) aus Sandstein angefertigten Stele.
Erstmals konnte zu Beginn der Fastenzeit 1998 das 1,50 m mal 3,00 m große violette Hungertuch an der Rückseite des Altarraumes aufgehangen werden. Es hat als Motiv das „Fries der Vergänglichkeit“: eine erloschene Kerze, einen zerbrochenen Krug, ein Stundenglas, einen vertrockneten Ast und als fünftes eine Ruine. Fünf namentlich bekannte eifrige Frauen aus Westbevern schufen diese Paramenten-Stickerei in sechs Wochen her.
Mit einem Festgottesdienst und anschließendem Fest der Begegnung wurde das 40-jährige Bestehen und die 625-jährige Ersterwähnung am 9. Mai 1999 gefeiert. Auch der MGV „Eintracht“ Westbevern-Vadrup brachte zu diesem Jubiläum ein Ständchen. Dazu erschien eine von Helmut Sommer geschriebenen Broschüre über die Geschichte der Kapelle.
Im Juli 1999 stellte Dieter Lüttmann aus Westbevern einen neuen Ambo als verspätetes Geschenk zum Jubiläum der St. Anna-Kapelle her. Ein Nichtgenannter hatte es gestiftet.
Zum Weihnachtsfest 2003 wurde die neue Orgel von der Firma Benedikt in Fallingbostel aufgestellt. Die Kosten in Höhe von 12.000 Euro kamen aus freiwilligen Spenden zusammen.
Das 50-jährige Bestehen der St. Anna-Kapelle fand am 1. Mai 2009 mit einem Festgottesdienst im Beisein von Weihbischof em. Friedrich Ostermann statt. Danach brachte gemütlichen Beisammensein der Vadruper Fanfarenzug ein kleines Konzert.